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In Ruhe altern

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Als mich meine Tochter auf mein Alter ansprach, war ich gerade dreißig geworden und ich fühlte mich jung und schön. „Dreißig“, rief sie entsetzt, „du bist ja uralt.“ Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen und obwohl der Altersunterschied zwischen ihr und mir der Gleiche geblieben ist, ist sie in den letzten Jahren deutlich rücksichtsvoller geworden, was Bemerkungen zu meinem fortschreitenden Alter angeht.

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Für dein Alter

„Du siehst wirklich noch gut aus“, sagt sie manchmal und fügt freundlich hinzu. „Für dein Alter.“ Von dieser Redewendung machen immer mehr Personen in meinem Umfeld Gebrauch, jeweils in leicht abgewandelter Form. „In deinem Alter ging das bei mir auch los mit der Brille“, sagt meine Kollegin. Der Orthopäde beruhigt mich und meint. „Verschleiß in den Gelenken ist in Ihrem Alter nicht ungewöhnlich. Das kann dann schon mal wehtun.“ Und die Friseurin fügt mit Bedauern in der Stimme hinzu. „Sie waren zwei Monate nicht mehr hier. Man sieht es am grauen Haaransatz.“ „Das ist in meinem Alter wohl normal“, erwidere ich vorbeugend und nehme ihr den Wind aus den Segeln.

Früher war das alles nicht so: keine Brille, keine knackenden Hüftgelenke und auch die Haare wuchsen in dunkelbraun, verlässlich und ohne jeden Zweifel daran, dass sich an meinem Körper im Lauf der Jahrzehnte irgendetwas ändern könnte.

Früher habe ich übrigens außerdem Ballett getanzt, bin mit offenem Cabrio gefahren und nur mit ein paar Hundert Mark in der Tasche durch die Welt gezogen. Und noch früher war ich Stammkundin bei dem Büdchen um die Ecke und habe dort mein opulentes Taschengeld von einer Mark in die Anschaffung von Lakritzstangen, Brause und Leckmuscheln investiert.

früher war..

Und früher hätte ich vor allem niemals angenommen, dass ich später Sätze mit früher beginnen würde. Überhaupt war alles besser. Ein Leben lag vor mir, ich wollte reich und berühmt werden und auf jeden Fall niemals alt. Alter war etwas, was in meinen frühen Gedanken niemals vorkam. Heute kann ich die Zahl meines Geburtsjahres im Pass einfach nicht mehr verleugnen und auf die Frage irgendeines Menschen, der möglicherweise nur meine Personalien prüfen möchte mit „Sie sind 52?“, antworte ich schuldbewusst und gestehe mit Röte auf den Wagen. „Richtig. 52.“

Im Grunde ist jede Art von Panik natürlich unangemessen. Statistisch betrachtet liegen noch um die dreißig Jahre an Lebenszeit vor mir, die ich intensiv nutzen werde, intensiver auf jeden Fall als ich die letzten dreißig Jahre genutzt habe. Gut, das World Wide Web wurde bereits erfunden und ich bezweifle, dass mir mit meinen höchst rudimentären Computerkenntnissen Besseres einfällt. Auch der Weiterentwicklung von Smartphones habe ich eher wenig entgegenzusetzen. Vielleicht reicht es aber auch, wenn ich mich gelassen den Alterungsprozessen meines Körpers hingebe, das Knacken der Gelenke ignoriere, die grauen Haare wachsen lasse und die Brille mit erhobenem Kopf und Selbstbewusstsein trage.

Genau genommen hätte ich früher mehr tun sollen, um erst gar nicht in die Versuchung zu kommen, mich später fast sehnsuchtsvoll an früher zu erinnern. Neidvoll betrachte ich meinen Sohn, 17 Jahre, der mit jugendlicher Kraft mein Futonbett zur Seite schiebt, damit ich dem angesammelten Staub mit Sauger und Besen auf den Pelz rücke. „Also, falls du dein Bett mal nicht mehr haben willst“, sagt er nebenbei ohne jede hörbare Anstrengung, „du weißt schon.“ „Bist du dafür nicht noch zu jung?“, stoße ich mit der letzten Kraft der Zuschauerin hervor. „Und bist du nicht….?“ Den Rest des Satzes verschluckt er in einem freundlichen und breiten Grinsen.

Ich gebe jetzt alles zu. Möglicherweise wird es tatsächlich langsam Zeit, dass ich mich von meinem Futonbett verabschiede und mir der Komforthöhe und außerordentlichen Bequemlichkeit eines Boxspring- oder Seniorenbettes bewusst werde. Denn bereits das Herunterbeugen zum Bett, um nach der Wegrück- und Putzaktion das Bettzeug wieder gerade zu rücken, entlockt meinem Rücken ein lautes Knacken. „Ich hoffe, eine Regelmäßigkeit dieses Geräusches in deinem Rücken ist auszuschließen und wenn ich es genau betrachte, hast du das Höchstalter für ein Futonbett bereits um Jahre überschritten. Mama.“ Das letzte Wort mit dem Hauch von Jugendlichkeit kommt zögerlich aus seinem Mund. „Du hast vermutlich Recht“, gebe ich kleinlaut zu. „Lass es mir noch für ein paar Wochen. Ich sehe mich im Netz nach Ersatz um.“ „Ich beginne dann einfach mal, mein Zimmer umzuräumen“, sagt er und verschwindet um die Ecke.

So ist das, denke ich, mit den Erben, die sich noch zu Lebzeiten des Besitzers auf sein Haus und sein Konto stürzen. Aber dann fällt mir rettend ein, dass ich in Wirklichkeit so alt noch nicht bin. Mir bleiben noch locker dreißig Jahre, wenn die Statistik sich nicht täuscht und die werde ich in aller Ruhe und Zufriedenheit, glücklich und lebendig verbringen. Das nehme ich mir fest vor. In der Nacht gönne ich mir wunderbare Träume von meiner weiteren Zukunft und erholsamen Schlaf in einem richtigen Bett. Altersangemessen natürlich. Na und?

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